Wissenswertes

An dieser Stelle finden Sie Wissenswertes und Nützliches rund um unser MRSAplus Netzwerk:

 

Das MRSAplus Netzwerk Lübeck stellt sich vor

Aufgaben und Entwicklungsmöglichkeiten

 

Vortrag im Rahmen der Kreisstellenversammlung der KVSH in Lübeck am 20.04.2010

 

Derzeit sind in allen Bundesländern mehr oder weniger weit gediehene Bewegungen zu verzeichnen, Problemkeimen im Sinne einer konzertierten Aktion den Kampf anzusagen, allen voran den multiresistenten Erregern, von denen wiederum die Staphylokokken auch in der Laienpresse am meisten berüchtigt sind und überhaupt erst zur Bildung von Netzwerken zu ihrer Eindämmung Anlass gaben.

 

Angeregt durch Frau Dr. Wunderlich vom Gesundheitsamt Lübeck trafen sich im Dezember 2009 in Räumen der Laborärztlichen Gemeinschaftspraxis erstmals neben Vertretern der genannten Einrichtungen auch solche der beiden großen Kliniken und des Geriatriezentrums, der Feuerwehr, der Pflegekonferenz und weiterer Institutionen, z. B. auch der KVSH.

Frau Dr. Krenz-Weinreich aus dem Kreis Plön und Frau Korte aus dem öffentl. Gesundheitsdienst des Kreises Schleswig-Flensburg, berichteten über ihre bereits umfangreichen Erfahrungen beim Aufbau von Netzwerken.

 

Nach diesem bescheidenen ersten Schritt waren dann beim 2. Netzwerk-Treffen im Februar unter dem Dach des Geriatriezentrums bereits etwa 60 Teilnehmer dabei, darunter auch viele Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen.

 

Das 3. Treffen findet am 23.06.10 statt; Gastgeber wird die Feuerwehr in der Bornhövedstr. 10 sein. Weitere Interessenten sind herzlich willkommen.

 

Das MASG misst , wie Referentin Fr. Dr. Marcic im vorigen Monat betonte, den sich auf regionaler Ebene gründenden Netzwerken eine solche Bedeutung bei, dass es beschlossen hat, die AG Antibiotika-Resistenzen hierin aufgehen zu lassen, sich für eine Federführung des öffentlichen Gesundheitsdienstes in den Netzwerken ausgesprochen hat und  Unterstützung bei Verhandlungen über die Finanzierbarkeit der Maßnahmen zusagt.

 

Nur durch eine vertrauensvolle, von Offenheit geprägte Zusammenarbeit der diversen mit Trägern von Problemkeimen befassten Institutionen und Menschen - nicht zuletzt auch des Keimträgers selbst - und den Abbau von gerade auf diesem Engagement beruhenden unmittelbaren Nachteilen wird sich die bereits rollende Lawine von volkswirtschaftlichen Mehrkosten und - weitaus wichtiger - gesundheitlichen Nachteilen abbremsen lassen.

 

Was steht dem entgegen? Es ist die Tatsache, dass in unserem Gesundheitssystem mit rühmlicher Ausnahme der nicht budgetierten Impfungen Infektionsverhütung noch nicht annähernd nachhaltig genug gefördert wird.

 

Natürlich gibt es gesetzliche Regelungen für Hygiene und eine Meldepflicht für epidemiologisch bedeutsame Erkrankungen, das gezielte Suchen danach wird jedoch nicht gefördert, sondern kurzfristig betrachtet profitiert der am meisten, der am wenigsten hinguckt.

 

Dies gilt für den nicht gescreenten und daher auch nicht erkannten MRSA-Besiedelten im Krankenhaus ebenso wie für den nicht erfolgten Hinweis auf Noro-Verdacht, wenn man für einen ambulanten Patienten ein Krankenhausbett oder für einen Krankenhaus-Patienten einen Heimplatz sucht.

 

Wenn wir uns schon einmal ein Forum aufbauen, um Infektionsprobleme offensiv anzugehen, wollen wir uns aber die Freiheit nehmen, hier auch über andere resistente oder hoch kontagiöse Keime zu sprechen, z. B. ESBL und VRE, deren Resistenzen z. T.  auf andere Bakterien übertragen werden können, CDT und das Massenphänomen Noro.

 

Ziel ist der Aufbau eines die Zusammenarbeit miteinander unter Anleitung des Gesundheitsamtes gewöhnten institutionsübergreifenden Teams, das jederzeit gerüstet ist, auch Schlachtpläne auszuhecken, wenn vielleicht ein heute noch nicht einmal in unser Bewusstsein gedrungener Erreger schnelles Handeln erfordert.

 

Aus Sicht einer Krankenhaus-Ärztin nehmen krisenhafte Gastroenteritis-Wellen und multiresistente Erreger, von Jahr zu Jahr an Brisanz zu. Noch sind die erhaltenen Vorab-Informationen oft so unvollständig, dass sozusagen während schon 2 Rollen der Transportliege im Patientenzimmer sind, plötzlich Umplanungen erforderlich werden.

Auch im klinisch harmlosesten Fall erweisen sich kontagiöse Infekte als schweres Therapiehindernis, gerade bei unseren auf Physiotherapie usw angewiesenen Patienten.

 

Wahrscheinlich liegen etwa 90% der Besiedelungen mit multiresistenten Erregern schon bei Aufnahme ins Krankenhaus vor. Dort haben sie eine gute Chance, unter Ausschaltung der Mitbewerber um den Lebensraum „Mensch" zur Blüte zu kommen, die bislang klinisch inapparente Haut-/Schleimhautbesiedelung bietet die Ausgangsbasis für Infektionen, für die wir mittels Durchdringen dieser Oberflächen mit unseren Nadeln und Kathetern die Pforte öffnen.

Die 10% im Krankenhaus geschehenden Neu-Besiedelungen sind fast ausschließlich durch Kontakt mit kontaminierten Oberflächen bedingt, von denen die Hand bekanntermaßen leider in dieser Hinsicht die „gefährlichste" ist.

Schätzungen mutmaßen, eine Krankenschwester müsse sich etwa 100x tgl. die Hände desinfizieren, um sich hygienisch einwandfrei zu verhalten.

Auf Stethoskopen ist die durchschnittliche Keimdichte höher als auf der Sitzbrille einer öffentlichen Toilette, auf jedem 8. Mobiltelefon von Krankenhaus-Ärzten finden sich MRSA, die auch ohne Nahrung 7 Monate lang vital bleiben können, Blutdruckmanschetten und Türklinken sind beliebte Reservoire.

 

Was aber sind im Moment die konkreten Ziele des MRSAplus Netzwerkes?

Inzwischen wurden 5 Arbeitsgemeinschaften gegründet:

 

1. Die Homepage-AG, die sich auch bereits traf und deren Produkt Ihnen Frau Dr. Tiemer noch vorstellen wird.

 

2. Die Finanzierungs-AG, für die wir unbedingt Ihre Mitarbeit brauchen und die sich sicherlich auch an Vertreter der Krankenkassen und des MASG wenden wird.

Zu klären wäre u. a., wie Abstriche auf MRSA im Rahmen von Kontrollen nach Sanierungsversuch und in der Umfelddiagnostik abgerechnet werden können und vieles andere, wovon Sie weit mehr verstehen als ich.

 

Der Beginn einer Sanierung wäre im ambulanten Bereich u. a. sinnvoll bei Patienten, die auf eine Situation mit erhöhter Generalisierungsgefahr zusteuern, z. B. sich bei fortgeschrittener Arthrose in absehbarer Zeit einer TEP-Implantation unterziehen werden.

 

In diesem Zusammenhang ist es einmal mehr für mich nicht nachvollziehbar, dass die Kostenübernahme für Antibiotika weniger problematisch ist als die für Antiseptika, obwohl letztere keine Resistenzentwicklung begünstigen.

Eine einzige vermiedene MRSA-Spondylodiszitis mit Linezolid-Langzeit-Therapie wäre eine schöne Gegenfinanzierung für eine Unmenge von Sanierungen.

 

3. Die Standard-AG, in der einheitliche Richtlinien für das praktische Vorgehen in den dem Netzwerk angegliederten Institutionen erarbeitet werden sollen, denn:

Trotz diverser vorhandener Leitlinien des Robert Koch Instituts usw. mangelt es an eindeutigen Aussagen zum Verhalten in der konkreten Situation, weil die Empfehlungen unterschiedlich interpretiert werden.

Auch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information, kurz DIMDI, zog in seinem Health Technology Assessment Bericht den Schluss, viele Studien wiesen darauf hin, dass man mit einem Bündel von Maßnahmen der MRSA Herr werden könne, keine sei aber differenziert genug, um die unterschiedliche Effektivität der einzelnen Maßnahmen nach strengen EBM-Kriterien zu belegen.

Gerade durch diese Unsicherheit entsteht eine Neigung zu übertriebenem Aufwand bei nachgewiesener Besiedelung.

Die Standard-AG hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Auswüchsen durch Reduktion der Hygienemaßnahmen auf das wirklich Erwiesene - allem voran die Handhygiene - zu begegnen und so die Hemmschwelle abzubauen, Problemkeime überhaupt zu diagnostizieren.

 

4. Die Schnittstellen-AG möchte den Informationsfluss insbesondere beim Übergang des Patienten von einer Institution in die nächste von einer eher sämigen Konsistenz in eine dünnflüssige wandeln.

Auf dem ersten Treffen wurde eine Übersicht der typischen Konstellationen erarbeitet und darüber beraten, welche Medien dabei am sinnvollsten einzusetzen wären.

 

Während Homepage und Faltblätter für Patienten und Angehörige allgemeine Informationen enthalten, böte sich eine leichte Aufstockung der ersten Seite des Lübecker Pflegebriefes an, um die Kommunikation z. B. vor Krankenhausentlassung zu verbessern; die Verhandlungen darüber erfordern Sensibilität.

 

Träger von MRSA, ESBL und VRE sollten in Analogie zum Antikoagulanzien-Pass und Schrittmacher-Pass einen „Mikro-Pass" erhalten, der über ein Ankreuz-Verfahren die wichtigsten Informationen bietet und den Patienten begleiten sollte, um die „Keimkarriere" schon vor dem nächsten Krankenhausaufenthalt besser transparent zu machen.

 

Hier ist sicherlich viel Aufklärungsarbeit zu leisten, um dem Patienten zu vermitteln, dass auch er vom freiwilligen Vorlegen seines Mikro-Passes profitiert, z. B. indem man alles tut, um in Zeiten der Abwehrschwäche aus einer Besiedelung keine Infektion werden zu lassen.

 

Je eher auf mit hoher Wahrscheinlichkeit überflüssige Totalvermummungen und „Isolationshaft" mit ihren schweren psychischen Auswirkungen verzichtet wird, desto größer werden unsere Chancen, den Patienten als kooperativen Partner zu gewinnen.   

 

Zum Schluss ein Ausblick:

Organisierte Schulungen von Personal aus Pflege und med. Bereich einschl. der Ärzte selbst, aber auch des Pat. u. seiner Angehörigen sind denkbar.

Außer der bereits anlaufenden Prävalenz-Studie wären auch Studien zu einzelnen Bausteinen der Hygienemaßnahmen und zur Keimkarriere z. B. anhand des Mikro-Passes  ein wichtiger Beitrag.

Der Aufbau einer Datenbank, in die z. B. aufnehmende Krankenhäuser mit Einwilligung des Patienten in Minutenschnelle Einblick halten könnten, um  sich über zurückliegende Nachweise multiresistenter Bakterien zu informieren, würde die verstärkte Aufmerksamkeit der dort Tätigen ab der Stunde Null fördern.

 

Ich hoffe, dass einige der jetzt Anwesenden unser MRSAplus Netzwerk durch ihre Kreativität bereichern werden.

 

Dr. Sonja Krupp

für das MRSAplus Netzwerk zuständige Oberärztin im

Krankenhaus Rotes Kreuz Lübeck Geriatriezentrum